Oliver Bräunling hat an der Fakultät für Mathematik und Informatik ein Diplom in Mathematik erworben (und laut eigenen Angaben eine ordentliche Portion Sozialkompetenz außerhalb der regulären Prüfungsordnung).
Bei welchem Unternehmen sind Sie beschäftigt und in welchem Bereich ist dieses Unternehmen tätig?
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Informatik.
Welche Aufgaben übernehmen Sie in Ihrer aktuellen Position?
Ich kümmere mich um Mathematik, halte Vorlesungen und biete andere Veranstaltungen an, z.B. Praxisveranstaltungen zur Kryptographie, die eine Mischform sind aus Vorlesung und praktischem Implementieren entsprechender mathematischer Verfahren, z.B. konkret ein kryptographisches Verfahren anzugreifen.
Wie ist Ihr Berufseinstieg verlaufen und wie hat Ihr Studium Sie auf die Praxis vorbereitet?
Mein Leben besteht eigentlich schon immer zu 99% aus Theorie, privat wie beruflich. Von daher erlaube ich mir, die Frage umzuinterpretieren: Mein Studium hat mich auch auf die Theorie hervorragend vorbereitet.
Was hat Sie dazu bewogen, eine Promotion aufzunehmen und welche Erwartungen hatten Sie an diese Zeit?
Ungestillter Wissenshunger. Würde es die Promotion als Konzept nicht geben, hätte ich sicherlich einfach noch mehrere Jahre weiterstudiert, einfach, um mehr zu lernen (Heute ist sowas offiziell gar nicht mehr vorgesehen, aber früher haben das viele Leute gemacht. Irgendwann entstand dann das Narrativ, dass Langzeitstudierende jüngeren Studierenden die Studienplätze wegnähmen und auch für ihre Ausbildung Geld zahlen sollten. Dies fügt sich in eine größere bildungspolitische Entwicklung, ob man Bildung als Ware verstehen soll oder nicht). Und eigentlich ist auch mein ganzer Lebenslauf nach dem Studium nichts anderes, als jeweils diejenige Option zu nehmen, die mir am meisten Mathematik ermöglicht.
Zu welchem Thema haben Sie promoviert?
Zu höherdimensionalen Adelen, das ist hauptsächlich ein Thema aus der Zahlentheorie. Klassische 1-dimensionale Adele findet man in der Algebraischen Zahlentheorie oder in der Theorie algebraischer Kurven über einem endlichen Körper, dazu gibt es bestimmt in Göttingen regelmäßig Vorlesungen oder Seminare. Diese Adele ermöglichen z. B. einen einfachen Beweis für die Funktionalgleichung der Zetafunktion eines Zahlkörpers (Tate’s Thesis), oder für den Satz von Riemann-Roch bei Kurven über einem endlichen Körper mittels harmonischer Analyse auf den Adelen. Parshin und Kato haben später vorgeschlagen, dass eine analoge Theorie auch für höherdimensionale arithmetische Schemata existieren könnte. An diesem Programm habe ich während meiner Promotion gearbeitet. Die höheren Adele sind nicht mehr lokalkompakt und daher scheitert ein Großteil klassischer harmonischer Analysis auf ihnen (es gibt z.B. kein Haarmaß), eine nicht-lokalkompakte Variante von Pontryagin Dualität existiert allerdings in diesem Setting. In gewisser Weise kehre ich auch heute immer noch alle paar Jahre zu Fragen zurück, die ich im Rahmen der Promotion kennengelernt habe und die größtenteils weiterhin ungelöst sind. Es bleibt spannend.
Was macht das Studium an dieser Fakultät Ihrer Meinung nach besonders empfehlenswert?
Ich denke, dass die Marke „Mathematik in Göttingen“ sehr gute und hochmotivierte Leute anzieht und davon profitiert dann jeder in Göttingen. Sehr viele meiner Freunde waren zu meiner Studienzeit fast rund um die Uhr im mathematischen Institut, es war ganz normal, auch um 22 Uhr noch über Mathematik zu diskutieren. So sieht Leidenschaft aus. Ich habe erst später an anderen Orten gelernt, dass eine solche Atmosphäre keine Selbstverständlichkeit ist, sondern erarbeitet werden muss. Hier wurden glaube ich in Göttingen oft die richtigen Entscheidungen getroffen. Ich denke, dass der Übungssaal und ganz besonders die Cafete eine spezielle soziale Rolle hierfür gespielt haben. Ich habe unglaublich von den Mitstudierenden und Profs, die ich in Göttingen vorfand, profitiert – und ich kann einfach nicht beurteilen, wie die Lage 2025 ist. Meine Profs von damals sind schon in Rente und zum Teil leider sogar bereits verstorben.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Studienzeit in Göttingen?
Nahezu schönste Zeit des Lebens? Wie Pubertät, aber ohne Liebeskummer. Ich habe üblicherweise ausgeschlafen und bin dann direkt in die Mathe-Cafete und habe dort gefrühstückt, perfekter Kaffee. Dort waren dann immer schon Leute, und man konnte sich wahlweise über Mathematik oder Politik unterhalten. Oft haben auch Leute auf hohem Niveau Schach oder Go gespielt. Und danach bestand der Tag oft aus konzentriertem Arbeiten in der wunderschönen(!!!) und sehr gut ausgestatteten Bibliothek oder spannenden Gesprächen irgendwo im Garten oder Emmy-Noether-Raum. Dazwischen irgendwie 4 Liter Kaffee am Tag.
Welche Ratschläge haben Sie für Studieninteressierte und Studienanfänger*innen?
- Lieber zur Studienberatung als allein vor Schwierigkeiten zu grübeln.
- Halten Sie sich von Mitstudierenden fern, die keine Ambitionen haben.