Kunstwerk des Monats Juli

06. Juli 2025
Der Heilige Jakobus der Ältere in Göttingen. Spätgotische Holzskulptur zwischen Materialität und Form
Vorgestellt von Justine Schindler



Der Heilige Jakobus der Ältere aus der Göttinger Skulpturensammlung gilt als süddeutsche, genauer fränki-sche Skulptur des ausgehenden 15. oder frühen 16. Jahrhunderts. Weder der Künstler noch der genaue Her-kunftsort sind dokumentiert. Laut den Archivquellen wissen wir ledig-lich, dass die Skulptur 1933 unter nicht näher bezeugten Umständen im Berliner Kunsthandel erworben wurde und als Geschenk des Universitäts-verbundes und des Kurators in die Skulpturensammlung der Universität Göttingen kam. Trotz des Mangels an Informationen können wir durch den stilistischen Vergleich mit Einbezug der Kulturgeschichte von (Linden-)Holz Einiges über den Heiligen her-ausfinden. Der von dem unbekann-ten Künstler verwendete Stil ist ty-pisch für die süddeutsche Schnitz-tradition der Spätgotik, für die exemplarisch Veit Stoß (1447-1533) und Tilman Riemenschneider (1460-1531) stehen. Diese Epoche der deutschen Bildschnitzerei zeichnet sich durch einen äußerst virtuosen Umgang mit Holz aus, der abstrahier-ten Darstellung von Gesichtern und Gewändern, sowie den „Papierfalten-stil". Diese Vorbilder sind Indizien für eine Datierung um 1500 und die re-gionale Verortung des Bildhauers. Zudem widmet sich der Vortrag dem Lindenholz als Material, das alte-rungsbedingten Veränderungen un-terliegt. So lässt sich beispielsweise nachvollziehen, weshalb der Bildhau-er seine Skulptur rückseitig aushöhl-te (eine Ansicht, die dem damaligen Betrachter verborgen blieb, doch heute in der Göttinger Sammlung geschickt inszeniert wurde). Anhand der Fassungsreste können wir uns dem ursprünglichen Zustand der Fi-gur annähern. Heute erscheint der Jakobus holzsichtig, doch einst war er farbig gefasst.
Der zweite Teil des Vortrags soll ver-anschaulichen, dass dieselben süd-deutschen Vorbilder des Göttinger Jakobus auch südlich der Alpen rezi-piert wurden. Den kaum erforschten Parallelen zwischen der deutschen und italienischen Holzskulptur bin ich in meiner Bachelorarbeit nachgegan-gen – am Beispiel der lombardischen Künstler Giovanni Angelo (dok. 1496-1536) und Tiburzio del Maino (dok. 1496-1532). Die Brüder führ-ten eine in der ganzen Lombardei er-folgreiche Werkstatt für Holzskulptur, die kleinfigurige Reliefs, narrative Al-täre, aber auch monumentale Einzel-figuren und Gruppen produzierte. Ausgehend von der Werkstatt des Vaters Giacomo del Maino, der sei-nerzeit prestigeträchtige Aufträge der Sforza in Mailand und später in Pavia ausführte, brachten sie im Sinne ei-nes rinascimento locale die Formen-sprache der italienischen Renais-sance in die lombardische Holzskulp-tur. Doch gleichzeitig bereicherten die Druckgraphik Albrecht Dürers (1471-1528) und auch die zeitge-nössische deutsche Lindenholzskulp-tur das Werk der heute wenig be-kannten Bildhauer.


Justine Schindler